Lenz in Gotha

„Make earth great again!“…

… könnte auch der Titel des Kunstwerks sein, mit dem sich die beiden 10. Klassen des Gustav-Freytag-Gymnasiums in Gotha in ihrer Projektwoche beschäftigt haben. Tatsächlich handelt es sich bei der Aufforderung „Make earth great again!“ um den Titel, den die Schülerin Klara ihrem eigenen Kunstwerk gab. Die Parallelen – bewusst oder unbewusst – zwischen dem Gegenwartskunstwerk von Klara und der Plastik von Dietmar Lenz aus dem Jahr 1984 sind schnell zu erkennen. Klara schreibt zu ihrem Werk in Form einer Weltkugel: „Mit meiner Plastik will ich zeigen, dass es wichtig ist, sich um den Planeten zu kümmern, damit die Menschen, Pflanzen und Tiere auf der ganzen Welt weiter/ wieder in guten Umständen leben können.“ Ähnliches dürfte vielleicht auch dem Erfurter Künstler Dietmar Lenz 1984 bei der Gestaltung seiner Figurenplastik durch den Kopf gegangen sein. Die dreiteilige Plastik „Kind und Natur“ gestaltete Lenz für das Eingangsportal der ehemaligen POS „Hermann Duncker“. Lenz gab seinen drei Figuren je einen Gegenstand in die Hand, der die Nähe der Kinder zur Natur ausdrücken sollte: eine Blume, einen Apfel und eine Taube.

Eine Besonderheit im Projekt war es, dass das Schulgebäude der ehemaligen POS heute nicht vom Gustav-Freytag-Gymnasium, sondern der Grundschule Siebleben genutzt wird. Die Grundschule trägt seit 1997 den Titel „Umweltschule in Europa“. Das Kunstwerk von Dietmar Lenz hat für die Grundschule also nicht nur einen historischen und räumlichen, sondern auch einen thematischen Bezug. Das Schulgebäude wurde 2009 saniert und vollständig umgestaltet. Das Kunstwerk wurde vom Eingang entfernt und in das hauseigene Schulmuseum verbracht.

Die Spurensuche zum Kunstwerk in Gotha begann mit einem etwa halbstündigen Spaziergang durch Siebleben. Im Schulmuseum der Grundschule betrachteten die Jugendlichen zunächst das Kunstwerk und versuchten dann, im Museum Hinweise für ihre Spurensuche zu finden. Direkt am Kunstwerk, auf dem Sockel, findet sich heute ein Papierschild mit der Überschrift „Kunst am Bau“ und folgender Information: „Extra für die neue Schule hat ein Künstler eine Plastik für das Hausportal geschaffen. Plastik: Kinder“. Auf dem Sockel liegt außerdem ein Stein, der dem Material des Kunstwerks ähnlich sieht. Dreht man den Stein um, wird sichtbar, dass es sich um ein Fossil handelt. Die Informationen zum Fundort, Zeitalter und Herkunft des Exponats stellten sich also schnell als falsche Fährte heraus. Im Museum gab es keine offensichtlichen Anhaltspunkte für die Recherche. Auf Fotos in Jahrbüchern und vom Umbau des Schulgebäudes war z. T. noch der eigentliche Standort des Kunstwerks zu sehen. Informationen zum Künstler, zum Titel und Enthüllung des Kunstwerks konnten die Schüler*innen erst durch ihre Recherche in historischen Zeitungen und der Chronik von Siebleben ermitteln. Zur Hauptquelle wurde die Kopie eines Artikels über die Einweihung des Kunstwerks durch den Künstler, den ehemaligen Direktor der POS, einem Vertreter des Büros für architekturbezogener Kunst in Erfurt und einer Schülerin. Über das Foto fanden die Zehntklässler*innen heraus, dass die drei Figuren der Plastik früher völlig anders inszeniert waren. Während ursprünglich jede der Figuren einen eigenen Sockel hatte, der sie in erhöhter Position am Eingang verortete, stehen sie heute direkt nebeneinander und in anderer Reihenfolge auf dem Boden. Außerdem wurden im Artikel Künstler und Titel des Kunstwerks genannt. Auf der Kopie des Artikels ist jedoch weder das Datum der Erscheinung noch der Name der Zeitung notiert. In der Ausgabe der Zeitung „DAS VOLK“ vom konnten die 27. April 1984 war in der Rubrik „Von A bis Z aus allen Kreisen“ eine Notiz zur Einweihung des Kunstwerks zu finden. Der Schulneubau wurde bereits zwei Jahre zuvor eröffnet. Aus dem Artikel von 1984 ist zu entnehmen, dass es sich um „das erste Beispiel für architekturbezogene Kunst an einer Gothaer Schule“ handelt.

Mehr Informationen zum Kunstwerk konnte Roswitha Bause im anschließenden Zeitzeuginnengespräch teilen. Roswitha Bause ist die Schülerin, die im Zeitungsartikel von 1984 neben dem Künstler zu sehen ist. Sie lebt noch heute in Siebleben und freute sich, ihre Erinnerungen mit den Schüler*innen zu teilen. Für das Gespräch verlängerte sie extra ihre Mittagspause. Sie betonte, dass die Schüler*innen der POS das Kunstwerk an ihrer Schule damals als etwas sehr Besonderes empfunden hätten und es eine große Wertschätzung dafür gab. Sie selbst war 1984 in der 9. Klasse und durfte beim Pressetermin die Dankesworte an den Künstler richten. Im Anschluss war sie sogar bei einem Gespräch mit Dietmar Lenz dabei, in dem dieser seine künstlerische Idee erläuterte. Sie erinnert sich, dass Lenz mit der Nacktheit der Figuren die Verbundenheit der Menschen zur Natur symbolisch zum Ausdruck bringen wollte. Neben Frau Bause konnten die Schüler*innen ihre Fragen zum Schulsystem der DDR und Erinnerungen an das Kunstwerk auch zwei ehemaligen Lehrerinnen von Roswitha Bause

stellen. Zum Abschluss des Projekttags reflektierten die Schüler*innen die verschiedenen Perspektiven auf die DDR, die sie nicht nur in der Projektwoche, sondern auch im bisherigen Schulunterricht sowie in den Medien und über die Familie kennengelernt hatten.

Mit diesen Eindrücken gingen die Jugendlichen am dritten Tag in die Workshops. Aus drei verschiedenen Angeboten konnten sie wählen und dann selbst kreativ werden.

Im Podcast-Workshop produzierten die Jugendlichen selbstständig eine eigene Folge für den Podcast „Vor dem Verschwinden“ auf Spotify (unten verlinkt). In der Pre-Production vertieften sie die Recherche zum Kunstwerk und dem Schulneubau 1982. Die Podcast-Gruppe versuchte außerdem den Künstler (geb. 1948) ausfindig zu machen. Nach 2017 verliert sich die Spur. Bekannt ist, dass er mittlerweile in Berlin wohnt. Über das Telefonbuch war schnell ein Dietmar Lenz in Berlin gefunden. Beim Anruf stellte sich aber heraus, dass dieser nicht der gesuchte Bildhauer ist. Neben der spannenden Geschichte um das Kunstwerk vermittelt die Folge auch einen Überblick über die Projektwoche an sich. Ein Teil der Podcast-Gruppe machte Interviews mit Mitschüler*innen, die eigene Kunstwerke bzw. ein Online-Game für die Grundschule erstellten.

Der Kunst-Workshop wurde von Dozent*innen der Mal- und Zeichenschule Weimar angeleitet. Ausgehend von den Gegenständen, die Dietmar Lenz seinen Figuren symbolisch in die Hand gab, überlegten die Schüler*innen, welche Gegenstände sie heute Kindern und Jugendlichen in die Hand legen würden. Fragen, mit denen sich die Schüler*innen beschäftigten waren z. B.: „Was macht unsere Gegenwart aus?“, „Was macht mich aus?“, „Was beschäftigt mich und mein Umfeld am meisten?“. Für die künstlerische Umsetzung verwendeten sie Modelliermasse. Um ihre künstlerische Idee für alle sichtbar zu machen, schrieben die Jugendlichen einen kurzen Text zu ihren Arbeiten. Welche vielseitigen und tiefgründigen Ideen in den Werken der Jugendlichen zum Ausdruck kommen, wird in der kleinen Bilderauswahl deutlich.

Schlagendes Herz
„Das Herz schlägt für dich selbst.“
Controller
„Er bedeutet für mich Rückzug, einen Ort, wo ich mich von der Umwelt zurückziehen kann und in eine andere Welt abtauche. Vielen Jugendlichen heutzutage geht es ähnlich.“
„Der Helm stellt den Schutzpanzer der Menschen dar, mit dem sie ihre Verletzlichkeit nach außen verstecken.“

Im dritten Workshop arbeiteten die Schüler*innen direkt im Schulmuseum der Grundschule. Sie entwickelten ein Online-Game in Form einer Schnitzeljagd für die Grundschüler*innen, um diesen einen spielerischen Zugang zu ihrem Schulmuseum und zur Geschichte der DDR und dem Kunstwerk von Dietmar Lenz zu ermöglichen. Bei einem Beta-Test, den die Zehntklässler*innen mit den Proband*innen aus der dritten und vierten Klasse durchführten, hatten alle eine Menge Spaß und das Spiel kam schon einmal ganz hervorragend an. Das Spiel „Zeitreise in die DDR“ wartet jetzt im Schulmuseum darauf, von den Grundschüler*innen gespielt zu werden und ihnen eine spielerischen Einstieg in die Zeit der DDR zu bieten.

Am letzten Tag wurden die Ergebnisse der Projektwoche in einer großen Abschlusspräsentation im Stil einer Ausstellungseröffnung gewürdigt. Die Wertschätzung, die den Arbeiten der Schüler*innen entgegengebracht wurde, zeigte sich u. a. an den Reaktionen von Vertreter*innen der beiden Schulleitungen, der betreuenden Lehrerinnen und allen Projektteilnehmer*innen.

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Thüringer Allgemeine vom 16.08.2023:
https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/gotha/ddr-kunst-in-siebleben-auf-der-spur-id238709839.html

Grundschule Siebleben

NAME DES KÜNSTLERS*

Dietmar Lenz

Titel des Kunstwerks, jahr

Kind und Natur, 1984

Technik, Maße

Plastik, ca. 150 cm hoch (Augenmaß)

Projektzeitraum

12.-16. Juni 2023

Name der schule

Gustav-Freytag-Gymnasium

Klasse

10

VORNAMEN DER SCHÜLER*INNEN

Shirin, M., Till, Sophie, C., Hellen, Luisa, A., Josephine, Moritz, Emily, Klara, Lara, Eric, Emil, Laureen, Emilia, Nerina, Juliane, Lisa, Hannes, Emely, P., Stella, Lorenz, Marc, Frieda, Florian, Elias, Justus, Gregor, Devid, Luke, Karen, Alex.

Name der Lehrkraft

Frau Lein, Frau Hofmann

KÜNSTLER*IN KUNSTPROJEKT

Tom Ackermann, Annekatrin Lemke

NAME DER EXPERT*INNEN

Roswitha Bause, Elke Heller, Monika Weimann

BESONDERER DANK

Grundschule Siebleben, Staatliches Schulamt Westthüringen