Fritze in Nieder-orschel

Bunt und fröhlich wirken die zwei Glasfenster, die vom Eingangsfoyer der heutigen Europaschule Niederorschel zu sehen sind. Vom damaligen Kunstlehrer Karl Heinz Fritze gearbeitet, erzählt es Schulgeschichte. Schüler*innen der Jahrgänge 9 und 10 erforschten das Kunstwerk, beschäftigten sich mit den darin abgebildeten Motiven und Symbolen und begegneten ehemaligen Weggefährten Karl Heinz Fritzes.

Zu Beginn der Woche lernten die Schüler*innen beim Besuch der Gedenkstätte den ehemaligen Haftort Andreasstraße kennen. In der Dauerausstellung machten sie sich in Kleingruppen mit den Themen „Sozialistische Erziehung“, „unangepasste Jugendliche“ und „Kunst in der DDR“ vertraut und präsentierten sich gegenseitig ihre Themen im jeweiligen Ausstellungsraum. Auf diese Weise sammelten die Jugendlichen Wissen über die DDR, das ihnen bei der Beschäftigung mit dem Kunstwerk vor Ort weiterhelfen konnte.

Am zweiten Tag befassten sich die Jugendlichen in ihrer Schule zunächst mit den Motiven und Symbolen im Glasbild. Zu sehen sind 14 Szenen aus dem Schulalltag, darunter verschiedene Schulfächer wie Kunst, Sport und Naturwissenschaften, aber auch Freizeitaktivitäten, wie Radfahren, Volkstanz und das Ferienlager. In den Fenstern ist jeweils mittig ein großes Motiv umgesetzt, das ein Zitat von Goethe enthält: „Es ist nicht genug zu wissen / Man muss es auch anwenden / Es ist nicht genug zu wollen / Man muss es auch tun“. Durch den vergleichenden Blick auf andere Kunstwerke lernten die Jugendlichen die DDR-eigene Bildsprache kennen, die sie auch im Kunstwerk an ihrer Schule wiederentdeckten: die lernende Jugend mit Pionierhalstuch, die rote Fahne samt Fahnenträger, Friedenstauben, Raketen und eine Sonne.

Die Bildsprache des Sozialistischen Realismus soll zukunftsgewandt und optimistisch sein. Die Sonne symbolisiert den DDR-Fortschrittsgedanken und verweist auf eine positive Zukunft. Die Bildsprache im Glasbild von Fritze ist damit auch ein Sinnbild für den Schulneubau in Niederorschel.

Mehr über die Entstehung des Bildes, den Künstler, den Neubau der Schule und über das frühere Schulleben im Eichsfeld erfuhren die Schüler*innen am Donnerstag. Fünf ehemalige Kolleg*innen Karl-Heinz Fritzes kamen in die Schule, um ihre Erinnerungen und Geschichten zu teilen. Viele Informationen, die die Schüler*innen in diesem Gespräch herausfanden, waren in den Quellen nicht zu finden. Heinz Hoffmeier, zu DDR-Zeiten Betreuer im polytechnischen Unterricht, war sogar selbst bei der Entstehung des Glasbildes beteiligt: er konstruierte das Grundgerüst. Zusammen mit Schüler*innen setzte er im polytechnischen Unterricht eine weitere künstlerische Idee seines Kollegen Karl Heinz um: ein Metallbild, das „Tiere unserer Heimat“ zeigt. Auch dieses Kunstwerk kennen die Jugendlichen heute noch: Es ist Teil des Bildes, das für die Außenfassade der Schule gemacht worden ist und heute als Raumteiler im Erdgeschoss zu sehen ist.

Die Schule in Niederorschel – so wurde nicht zuletzt über die persönlichen Geschichten deutlich – war ein Herzensprojekt des ganzen Dorfes. 1964 wurde der Grundstein gelegt, 1966 folgte die Eröffnung. Die Schule galt zu dieser Zeit als die „modernste“ Schule in der Region. Karl Heinz Fritze zeigte beim Neubau der Schule besonderes Engagement: Mit einer Spendenaktion trug er wesentlich zur Finanzierung des Innenausbaus und der Ausstattung der Schule bei. Eltern spendeten ein Jahr lang jeden Monat 5 Mark für die Schule und bekamen als Dankeschön Linolschnitte von Fritze mit Motiven von Niederorschel.

In den 1990er Jahren sollte das Glasbild aufgrund der vielen sozialistischen Motive verschwinden. Wie bei der Entstehung des Bildes waren auch beim Erhalt des Kunstwerkes Lehrer*innen und Eltern beteiligt. In einer Gemeinschaftsaktion protestierten sie für den Verbleib des Kunstwerks:

„Das Stück ist deutsche Geschichte. Es ist mit Herzblut entstanden. Man kann nicht einfach etwas verschwinden lassen, was gewachsen ist.“

Bernhard Wolf

Auch die Schüler*innen finden es gut, dass das Bild noch da ist und wollen, dass es bleibt. „Es gehört zur Schule. Es ist etwas Besonderes und wertet die Schule auf.“, resümierten sie am Ende der Projektwoche. Es könne auch so bleiben, wie es ist, mit den Schäden, die das Bild heute aufweist. Denn die Schäden gehören zur Geschichte des Bildes dazu.

Im Schulgebäude wird neben dem Glasbild von Karl Heinz Fritze bald ein weiteres hinzukommen: Die Schüler*innen erstellten in der Projektwoche nämlich ein eigenes Glasbild. Ab Mittwoch begannen sie zeichnerisch, Motive aus ihrem eigenen Schulalltag zu entwickeln. Eines der Motive setzten sie in den folgenden Tagen in Glas um. Laura, Benedikt und Pascal fahren täglich mit ihren Simsons zur Schule. Ausgehend von einem Foto mit ihren Simsons vor dem Schulgebäude entwickelten sie ihr Motiv und übertrugen die Vorlage schließlich auf ein Großformat. Die anderen aus der Klasse übten währenddessen das Glasschneiden. Angeleitet wurden sie dabei von Tobias Hartmann aus Leinefelde-Worbis. Er erklärte den Jugendlichen die Technik und zeigte, wie sie das Schneiderädchen des Glasschneiders aufsetzen müssen, um einen geraden Schnitt zu schaffen und wie sie das Glas durch Brechen an der Schnittkante trennen. Zur Fertigstellung des Bildes kolorierten die Jugendlichen die einzelnen Teile mit Glasfarbe. Tobias Hartmann stellte das Bild im Anschluss an die Projektwoche fertig und fügte es schließlich mit sogenannten Bleiruten zusammen.

Während sich ihre Mitschüler*innen künstlerisch betätigten, vertieften Fenja und Anna die Recherche zu Karl Heinz Fritze und begleiteten den Entstehungsprozess des neuen Glasbildes. Über ihre Spurensuche zum alten und zum neuen Kunstwerk haben sie eine Podcast-Folge gemacht.

Das Glasbild der Jugendlichen wird 2023 in der Sonderausstellung im Untergeschoss der Gedenkstätte Andreasstraße gezeigt. Die Lehrer*innen und Schüler*innen der 9. Klasse freuen sich bereits auf eine weitere Fahrt nach Erfurt im nächsten Schuljahr. Die Schüler*innen aus der 10. Klasse machen im Sommer ihren Abschluss. Einige von ihnen überlegen, dann mit ihren Großeltern nach Erfurt zu fahren, um ihnen die Ergebnisse aus ihre Projektwoche zu zeigen.

Podcast | Ep. 5 – Fritze in Niederorschel

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Thüringer Allgemeine vom 27.12.2022:

https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/eichsfeld/niederorschel-und-kunst-aus-der-ddr-id237204313.html

Thüringer Allgemeine vom 17.06.2023:

https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/eichsfeld/junge-eichsfelder-auf-simsons-in-glas-gefasst-id239205499.html

Staatliche Regelschule Niederorschel

NAME DES KÜNSTLERS*

Karl Heinz Fritze

Titel des Kunstwerks, jahr

kein Titel, 1966

Technik, Maße

Bleiverglasung, 2 m x 3,20 m

Projektzeitraum

28. November - 02. Dezember 2022

Name der schule

Staatliche Regelschule Niederorschel

Klasse

9/10

VORNAMEN DER SCHÜLER*INNEN

Z., Mohsen, Zainab, Benedikt, I., Laureen, Paula, Sarah, Laura, Hannes, Marie, Fenja, May, S., Valentino, C., Anna-Marie, Pascal, Charlotte, N.

Name der Lehrkraft

Frau Heck, Herr Gerling

KÜNSTLER*IN KUNSTPROJEKT

Tobias Hartmann

NAME DER EXPERT*INNEN

Heide Grubert, Siegfried Grubert, Heinz Hoffmeyer, Bruno Waldhelm, Bernhard Wolf

BESONDERER DANK

Roswitha Steinmetz, Schulleiterin