Auch oder gerade ein unvollständiges Kunstwerk kann interessant sein! Das haben 12 Schüler*innen des Philipp-Melanchton-Gymnasiums Schmalkalden während einer Projektwoche festgestellt. Dabei beschäftigten sie sich mit einer Wandgestaltung aus Aluminium, die die Künstler Franz Reiß und Fritz Nothnagel Anfang der 1970er Jahre gefertigt haben. Eine der Überraschungen: Das Wandbild aus Aluminium war früher doppelt so groß! Heute befindet sich nur noch ein Teil an der Wand eines Gebäudes des Mendritzki-Gewerbeparks. Doch warum fehlen nun Teile des Kunstwerks?

Am ersten Projekttag besuchten die Schüler*innen die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße. Während einer Führung lernten die Jugendlichen den historischen Ort kennen und legten eine gemeinsame Wissensgrundlage über die DDR. Im Verlauf des Tages vertieften sie ihr Wissen über den Arbeitsalltag und die Bedeutung von (offizieller) Kunst in der DDR.

Das Foto zeigt eine Gruppe Schülerinnen und Schüler mit mehreren ännern in Arbeitskleidung. Die Gruppe steht vor einem Industriegebäude, an dessen Fassade sich ein Wandkunstwerk aus Aluminium befindet.

Am nächsten Tag stand dann die Besichtigung des Kunstwerks auf dem heutigen Firmengelände an und die Suche nach Informationen über Kunst und Künstler begann. Zu DDR-Zeiten befand sich auf dem Gelände das VEB Werkzeugkombinat Schmalkalden. Das Werkzeugkombinat bot über 13.000 Menschen einen Arbeitsplatz und war bedeutender Werkzeughersteller in der DDR. Als die Betriebsgaststätte 1973 eingeweiht wurde, wurde auch die Figurengruppe aus Aluminium von Reiß & Nothnagel am Gebäude angebracht. In der Betriebsgaststätte des VEBs befand sich die Kantine des Betriebs, hier trafen sich aber auch die Belegschaft und deren Familien für Jugendweihen, Weihnachtsfeiern und andere Veranstaltungen. Denn in der DDR waren Arbeit und Freizeit eng verknüpft. Größere Betriebe organisierten die Freizeit und verschiedene Aktivitäten für ihre Beschäftigten wie zum Beispiel Kulturveranstaltungen, Sportgruppen oder auch Ferienfreizeiten. Dies sollte eine hohe Produktivität gewährleisten.

Nach dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung der DDR mit der Bundesrepublik standen die Volkseigenen Betriebe (VEBs) und Kombinate vor der Neuordnung. Viele dieser Betriebe wurden verkauft oder mussten geschlossen werden. Das Werkzeugkombinat Schmalkalden wurde in mehrere Betriebe aufgeteilt und verkauft. Besonders die politischen Botschaften des Bildes sollten nach 1990 vermutlich nicht mehr so präsent erinnert werden. Daher wurden die Elemente des Kunstwerks, die zu sehr sozialistischer Formensprache entsprachen, von der Wand entfernt. Dazu gehörte die größte Figur des Kunstwerks, ein Arbeiter mit kämpferisch in die Luft gereckter Faust sowie eine Figurengruppe mit Ball oder anderen Sportgeräten. Die enge Verknüpfung zwischen Freizeit und Arbeit gab es nach 1990 nicht mehr, private Sportveranstaltungen wurden nicht mehr durch den Betrieb organisiert und auch für Feiern wie die Jugendweihe trafen sich die Menschen nicht mehr in der Betriebsgaststätte. Die neuen Eigentümer des Gebäudes lagerten diese entfernten Teile im Keller ein. Zum Glück für uns, denn so konnten die Schüler*innen hier auf Spurensuche gehen!

Dabei halfen spontan einige Mitarbeiter des heutigen Mendritzki Gewerbeparks, die das Werkzeugkombinat noch aus DDR-Zeiten kannten oder sogar selbst dort beschäftigt waren. Sie erzählten den Schüler*innen von der Bedeutung des Kombinats als einen der größten Arbeitgeber der Region, vom Arbeitsalltag in der DDR und von den verschiedenen Feierlichkeiten, die in der ehemaligen Betriebsgaststätte stattfanden.

Im Laufe der Projekttage traten immer mehr Anknüpfungspunkte zutage. So hatten viele Jugendliche Verwandte, die beim ehemals größten Arbeitgeber der Region arbeiteten und das Wandbild aus dieser Zeit kannten. Zurück in der Schule begann die Gruppe zu recherchieren. Mit Hilfe von historischen Quellen sammelten sie Informationen zu Kunstwerk und Künstlern, die ihnen noch fehlten.

Ein Highlight war wie so oft die eigene künstlerische Arbeit. Unter Anleitung des Künstlers Felix Schwager griffen die Jugendlichen einige der Figuren auf und setzten sie in einen neuen Zusammenhang. Aus Papier entstanden überdimensionierte Figuren, die sich auch an aktuelle Entwicklungen in der Region anlehnen. Hier wird heute u.a. für den US-amerikanischen Künstler Jeff Koons und den internationalen Kunstmarkt produziert. Besonders dieser kreative Teil des Projekts und die Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Künstler machten vielen Schüler*innen großen Spaß.

Das Schulfest am letzten Tag war für die Projektwoche ein gelungener Abschluss. Hier präsentierten die Schüler*innen ihre 1,5x1m großen Bilder der ganzen Schule in einer Ausstellung. Es gab viele Interessierte, denen die Jugendlichen ihre eigenen Kunstwerke zeigten und über den historischen Kontext des Wandbildes aufklären konnten. Parallel dazu nahmen einige Schüler*innen Beiträge für eine neue Podcastfolge des Vor dem Verschwinden-Podcasts auf. Darin berichten sie über die Projektwoche und ihre persönlichen Highlights. Hier kann man die aktuelle Folge aus Schmalkalden anhören:

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Mendritzki Gewerbepark, Asbacher Straße 5, Schmalkalden

NAME DES KÜNSTLERS*

Franz Reiß (Gestaltung) & Fritz Nothnagel (Ausarbeitung)

Titel des Kunstwerks, jahr

Der Weg nach oben, 1973

Technik, Maße

Aluminium, Metall, ca. 8x20m

Projektzeitraum

23.-26. Juni 2025

Name der schule

Philipp-Melanchton-Gymnasium Schmalkalden

Klasse

7.-11. Klasse

VORNAMEN DER SCHÜLER*INNEN

Selma, Richard, Kim, Talisa, Julia, Laura, Hilde, John

Name der Lehrkraft

Frau Amborn, Frau Weisheit

KÜNSTLER*IN KUNSTPROJEKT

Felix Schwager

BESONDERER DANK

Ute Simon, Stadt- und Kreisarchiv Schmalkalden & Axel Tödt, Leiter Gebäudemanagement Mendritzki Immobilien GmbH & Co. KG und die Mitarbeiter des Mendritzki Gewerbeparks