Krauß in Weimar
Herderplatz 14 – heute Interimsrathaus und Standesamt der Stadt Weimar, einst Schulgebäude des Wilhelm-Ernst-Gymnasiums. Dass sich hinter dem Eingangsportal des 1712 bis 1716 errichteten Gebäudes ein DDR-Wandbild befindet, konnte keine*r der Teilnehmer*innen des Workshops zum »Weimarer Rendezvous mit der Geschichte« glauben.
Zu DDR-Zeiten befand sich ab 1969 ein Polytechnisches Zentrum im Bau am Herderplatz. Die Weimarer Künstlerin Johanna Krauß gestaltete im Auftrag dessen ein Wandbild für den Eingangsbereich, das sie bis zur Eröffnung fertigstellte. Auf keramisch bemalten Spaltplatten setzte sie künstlerisch einen Satz Walter Ulbrichts, dem damaligen Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, um: »Wer den Sozialismus verstehen will / der muss Goethes Faust und Marx‘ Kommunistisches Manifest lesen.« Der Satz Ulbrichts findet sich auf dem gut erhaltenen Wandbild wieder.
Die Teilnehmer*innen beschäftigten sich im ersten Teil des Workshops mit dem Wandbild direkt vor Ort und setzten sich intensiv mit dem Bildinhalt und den darin enthaltenen Symbolen des „Sozialistischen Realismus“ auseinander: zu sehen ist im Vordergrund der Gelehrte Dr. Faust, der neben Arbeiter*innen, jungen Wissenschaftler*innen, einer Mutter und einer Pionierin steht. Sie alle sind um einen Baum gruppiert, der symbolisch für den Aufbau des Sozialismus steht. Einer der Arbeiter schwenkt eine große rote Fahne. Vor dieser schweben drei überdimensional große Friedenstauben. Johanna Krauß bringt – ganz im Zeichen des Satzes von Walter Ulbricht – auf dem Bild die Geschichte von Johann Wolfgang von Goethe mit den Idealen der sozialistischen Gesellschaft in Einklang.
Im Anschluss rekonstruierten die Teilnehmer*innen anhand von Akten und Zeitungsartikeln die Geschichte des Kunstwerks: Der Auftrag von Johanna Krauß war es, ein Wandbild zum Thema »Goethes Faust – deutsche Arbeiterbewegung – wissenschaftlich-technische Revolution« zu entwerfen. Aber nicht nur in den schriftlichen Quellen, sondern auch am Kunstwerk selbst fanden die Teilnehmer*innen etwas über die Entstehung heraus: Teile des Stucks wurden aus der Decke (vermutlich beim Anbringen des Wandbildes) gesägt, um das Kunstwerk passend in die Wand einzulassen. Auch Spuren aus der Friedlichen Revolution konnten die Teilnehmer*innen entdecken: mit einem wasserfesten Marker wurde ein Spruch auf die Fließen geschrieben und ist bis heute zu lesen. Er fordert die Menschen der DDR zu einem freien Leben auf.
Im zweiten Teil des Workshops gestalteten die Teilnehmer*innen in der »Weimarer Mal- und Zeichenschule« eigene Keramikfließen. Ausgehend von den Friedenstauben im Wandbild von Johanna Krauß setzten sie sich selbst künstlerisch mit dem Thema »Frieden« auseinander. Hierbei stellten sie auch Bezüge zu aktuellen (politischen) Situationen und Ereignissen her und entwickelten schließlich eigene Friedenssymbole, die sie auf Basis ihrer Vorzeichnungen und unter Anleitung des Künstlers Frank Steenbeck als Motiv auf ihre Fliesen brachten.
Podcast | Ep. 3 – Krauß in Weimar
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